Eine Werbung eines Jobvermittlers formuliert es sehr treffend: es gibt leichte Jobs (Supermarktkassiererin), anstrengende Jobs (Maurer), so richtig anstrengende Jobs (Maskottchen im Fußballstadion) und dann so richtige Sch*Jobs (Handwerker fällt von der Leiter). Und das sage ich nun: es gibt noch Jobs, die sind Berufung und die haben Auswirkungen auf die gesamte Familie. Das sind Jobs, in denen man in der Öffentlichkeit steht und/oder Glaubensrichtungen, künstlerische oder politische Gesinnungen vertritt.
Dazu gehört der Beruf des Pfarrers, denn dazu muss man wirklich berufen sein. Damit steht man in der Öffentlichkeit und repräsentiert eine Glaubensrichtung, man begleitet Menschen in allen Lebenslagen und widmet sein Arbeitsleben dieser Gemeinschaft. Dieser Beruf wirkt sich auf verschiedene Art und Weise auf die Familie aus und das habe ich als Tochter eines evangelischen Pfarrers selbst erlebt.
Ich habe den Artikel „Schublade Pfarrerstochter“ genannt, denn sobald ich gegenüber anderen den Beruf meines Vaters erwähne und erwähnte, kamen schon die ersten Sprüche. Zu den Klischees einer Pfarrerstochter komme ich an anderer Stelle noch einmal in der Kombination mit den Reaktionen der Leute auf den Beruf meines Vaters, die ich so erlebt habe. Ich möchte erstmal ein paar andere, durchaus auch berühmte Pastorentöchter hier erwähnen.
Berühmte Pfarrerstöchter (und ein paar Söhne)
Ich steige zunächst mit einem Zitat eines Beitrags aus dem DeutschlandRadio Berlin in der Reihe „Kompass. Blick in die Gesellschaft“ zu dem Thema „Unter uns Pastorentöchtern“ aus dem Jahr 2005 ein:
Woher wissen wir eigentlich, dass das vielbesungene Ännchen von Tharau eine Pfarrerstochter war? Oder die Mutter von Friedrich Nietzsche? Oder Henriette Tiburtius, die erste deutsche Zahnärztin? Wir wissen es zum Beispiel aus dem Buch „Deutsche Pfarrerstöchter“, in dem ein Familienforscher das Wirken dieser Frauen nachgezeichnet hat. Ein Buch über die Töchter von Schreinern oder Ingenieuren hat dagegen noch niemand geschrieben. Wie erklärt sich diese besondere Aufmerksamkeit? Wird eine Frau allein dadurch interessant, dass sie von einem Pfarrer gezeugt wurde?
(DeutschlandRadio Berlin 2005)
Diese Fragen haben mich belustigt, denn es scheint tatsächlich interessant zu sein. Die wohl bei uns bekannteste Pfarrerstochter ist Altkanzlerin Angela Merkel, aber auch die Sängerinnen Aretha Franklin, Jessica Simpson oder Katy Perry haben Geistliche als Eltern. Es gibt, noch ganz kurz erwähnt, natürlich berühmte Pfarrerssöhne wie Albert Schweitzer, Lemmy Kilmister von Motörhead, Alice Cooper oder Friedrich Nietzsche. Egal ob Töchter oder Söhne, bei den Kindern wird der Beruf des Vaters entweder als fördernd für die Karriere oder als besonders konträr einstuft.
Bei Wikipedia wird sogar eine Liste von evangelischen Pfarrerskindern geführt, die zumindest eine überregionale bis hin zu einer deutschlandweiten, wenn nicht gleich weltweiten Berühmtheit erlangt haben. Interessanterweise haben viele Pfarrerskinder früher später den Beruf des Vaters fortgeführt, wie häufig auch Bauerskinder Bauern wurden, Metzgerkinder Metzger usw.
Klischee Pfarrerstochter
In seiner aktiven Dienstzeit war mein Vater Pfarrer in mehreren mittelgroßen Marktgemeinden tätig, die dennoch als ländlich geprägt einzustufen sind. Zunächst war er in Franken, dann in einer Gemeinde an der bayrisch-hessischen Grenze und später in Oberbayern im Dienst. Gerade die oberbayerische Dorfgemeinschaft stellte sich als traditionsbewusst, katholisch, konservativ heraus, aber durchaus auch offen und herzlich. Ich kam dort als Pubertierende in die Dorfgemeinschaft und habe mich da besonders an den Klischees gestoßen, die man mir als Pfarrerstochter so angetragen hat.
Gängige Klischees und Vorurteile sehen speziell Pfarrerstöchter als besonders sittsam, brav, unkritisch, gläubig, aufgewachsen in Harmonie mit besonders direktem Draht zu Gott. Besonders passend finde ich auch diese Einschätzung des oben bereits erwähnten Beitrags im DeutschlandRadio Berlin:
Trotz der verbreiteten Abkehr vom christlichen Glauben halten viele Menschen einen Pfarrer für eine moralische Instanz. Sie erwarten, dass er christliche Werte wie Mitmenschlichkeit und Aufrichtigkeit nicht nur predigt, sondern auch lebt. Die Glaubwürdigkeit eines Pfarrers hängt allerdings auch von seinen Kindern ab. Denn die werden als lebende Beweise dafür betrachtet, ob er seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird oder nicht.
(DeutschlandRadio Berlin 2005)
Und dann wurde ich bei Dorffesten und in den Clubs und Bars mit Alkohol in der Hand gesehen, mit wechselnden Beziehungen und durchaus aufreizenden Klamotten. Das zog Kommentare wie „Du bist Pfarrerstochter und machst sowas?“ nach sich, was mich irritierte und ich mein Verhalten vor Leuten rechtfertigen musste, nur weil mein Vater diesen Beruf hat.
Es gibt Pfarrerstöchter und -söhne, die bewusst gegen diese Klischees rebellieren, sich dagegen abgrenzen und auch provozieren wollen. Ich kann das verstehen, aber es war nicht mein Weg. Wie alle anderen wollte ich zur Gemeinschaft gehören, nichts besonderes sein, obwohl ein Pfarrer im Dorf schon als Hochwürden und besonders öffentliche Person wahrgenommen wird und sich das auf die Familie überträgt.
Besonders spannend scheint auch das Sexualleben einer Pfarrerstochter für die Allgemeinheit zu sein:
Eine besonders prekäre Angelegenheit scheint das Sexualleben einer Pfarrerstochter zu sein – zumindest in den Augen ihrer Beobachter. Wie kaum eine andere Frau scheint sie sich als Symbol für christliche Askese zu eignen. In Gedichten, Romanen und Filmen taucht sie immer wieder als personifizierte Unschuld, als Inbegriff von Sittsamkeit auf.
(DeutschlandRadio Berlin 2005)
Genau das habe ich ja bereits bei den gängigen Klischees mit aufgezählt, die brave und sittsame Pfarrerstochter, die keinen Sex vor der Ehe hat. Wie oft habe ich mir angehört: „Du bist Pfarrerstochter und hast Sex vor der Ehe?“. Das schien die Männerwelt wirklich zu interessieren und auch zu faszinieren. Das war von einem Interesse, welches mich wiederum in eine Rechtfertigungssituation gebracht hat, die aus meiner Sicht keinen etwas angeht. Wirklich bei keinem anderen Mädchen oder Frau stellt man solche Fragen! Mittlerweile kann ich, nach wie vor erstaunt über diese Übergriffigkeit der Leute, darüber lachen, aber mit dem mangelndem Selbstbewusstsein einer Pubertierenden haben mich diese Fragen oft überrollt.
Pfarrerstöchter sind keine weltfremden Betschwestern
Nun kenne ich persönlich auch einige Pfarrerstöchter und für die oben erwähnten bekannteren Pfarrerstöchter gilt wohl das gleiche: wir sind keine weltfremden Betschwestern. Im Gegenteil – das Aufwachsen in der Gemeinde und mit Eltern, die sich für diesen Beruf entschieden haben, führt einen sehr nah heran an alle Lebenssituationen und die verschiedensten Menschen. Wir waren bei allen Festen dabei, von der Taufe, Hochzeit, diverse runde Geburtstage bis zur Beerdigung. Wir Pfarrerskinder haben uns als Mesner, Telefondienst, Kreuzträger, Kirchenmusiker am Gemeindeleben beteiligt. Es begegnen einem die verschiedensten Schicksale, die man einfach mitbekommt, weil Privates und Berufliches bei Geistlichen sehr nahe liegen.
Diese Nähe zu allen Lebenslagen bereits in der Kindheit führt dazu, dass viele Pfarrerskinder einerseits später soziale Berufe ergreifen wie Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Erzieher oder ähnliche. Andererseits fördert das auch eine kritische Sichtweise auf die Außenwelt, auf Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Nicht wenige gehen in die Politik oder werden selbst Theologen und Philosophen.
Für mich gilt das gleiche wie für viele Pfarrerskinder – ein gewisser Hang zu christlichen Traditionen bleibt einem durch den Beruf der Eltern oder in meinem Fall des Vaters. Diese Traditionen auszuleben kann verschiedene Ausprägungen annehmen und für mich bilden sie eine Sicherheit. Ich kenne aus meiner Kindheit und Jugend eben die Abläufe im Kirchenjahr und im Gottesdienst, die Lieder, die Gebete. Da kann ich Jahre lang nicht in den Gottesdienst gehen, wenn ich wieder dort bin, erinnere ich mich problemlos an alles.
Pfarrerskinder und Priesterkinder
Ich habe es immer wieder selbst erlebt, die Frage, ob mein Vater denn katholischer oder evangelischer Pfarrer sei. Diese Frage war für mich auf der einen Seite immer irritierend, weil für mich klar war, dass er evangelisch sein muss, sonst gäbe es mich nicht. Auf der anderen Seite war mir auch bewusst, dass es durchaus Priesterkinder gibt. Ich habe mich dann immer gefragt, ob diese Kinder/Jugendlichen überhaupt vom Beruf ihres Vaters erzählen würden.
Bei meinen Recherchen zu diesem Blog-Artikel bin ich eben genau auf die Problematik bei Priesterkindern gestoßen, die in eine tabuisierte, stigmatisierte Situation bzw. Rolle hineingeboren werden und wenn sie überhaupt etwas über ihren Vater erfahren, dann in der Regel nicht darüber erzählen dürfen oder es erst sehr spät in ihrem Leben als Erwachsene überhaupt erfahren.
Erst seit 2019 ist es für katholische Priester laut Kirchenrecht aus dem Vatikan erlaubt, in ihrem Beruf weiterzuarbeiten UND die Vaterschaft anzuerkennen. Die Beziehung zur Mutter muss dennoch beendet werden oder der betroffene Geistliche wird sozusagen in den Laienstand, z.B. als Diakon, zurückgestuft. Es gibt hier also keinen Automatismus mehr, dass bei einer Vaterschaft das Priesteramt automatisch nicht mehr in Frage kommt. Um der Fürsorge für die Kinder gerecht zu werden, treten die meisten Priester jedoch freiwillig zurück.
Die Schicksale dieser Priesterkinder sind wirklich bewegend zu lesen und zu hören. Es gibt zu ihrer Zahl keine verlässlichen Aussagen, nur Schätzungen, die zwischen mehreren hundert bis mehreren tausend in Deutschland ausgehen. Sie sind die Leidtragenden einer aus meiner Sicht menschlichen Verfehlung, die sich aus dem Zölibat ergeben kann und offensichtlich ergibt. Diese Kinder sollten geschützt werden durch Anerkennung ihrer Situation, Wissen über ihre Herkunft, finanzielle Unterstützung und einem Vater, der beide Lieben, zum Kind und zur Kirche, ausleben kann. Das Schweigen und die Tabuisierung sollten beendet werden in einer modernen Gesellschaft wie der unseren.
In eben dieser modernen Gesellschaft sollten auch die Klischees gegenüber Pfarrerskindern und in meinem Fall eben Pfarrerstöchtern längst überholt sein.
Weiterlesen im Thema
DeutschlandRadio Berlin (10.2.2005): Beitrag der Reihe „Kompass.Blicke in die Gesellschaft“: Unter uns Pastorentöchtern, https://www.deutschlandradio.de/archiv/dlr/sendungen/kompass/345842/index.html (10.12.2021)
katholisch.de (04.01.2021): Leben im Unklaren: Das schwierige Los von Priesterkindern, https://www.katholisch.de/artikel/27930-leben-im-unklaren-das-schwierige-los-von-priesterkindern (31.12.2021)
Menschenrechte für Priesterkinder: http://www.menschenrechtefuerpriesterkinder.org/ (31.12.2021)
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